Es charakterisiert die Bregenzer Festspiele, dass hier das Besondere vom riesigen Spektakel auf dem See bis zur Uraufführung in kleinen Räumen reicht.

Wenn Sir David Pountney zum Tanzen auffordert, dann bleibt kaum jemand sitzen. So wie beim jüngsten Informationsevent im Seestudio des Bregenzer Festspielhauses. Das ist jene Bühne, die variabel bespielt werden kann und von der sich ein fantastischer Blick über und auf den Bodensee bietet. Dort hatte der britische Regisseur einst die Opern „Der fliegende Holländer“, „Nabucco“, „Fidelio“ und „Die Zauberflöte“ inszeniert. Zu seinen jeweils international gefeierten Regiearbeiten auf dem See kamen mehrere Produktionen im Haus. Viele davon waren Raritäten. Mit einer dieser Arbeiten schrieb er nicht nur Festspiel-, sondern auch Musiktheatergeschichte: „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg mit einem Libretto nach dem Roman der Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz wurde in Bregenz überhaupt erstmals szenisch aufgeführt und kam seitdem auf die Spielpläne mehrerer Opernhäuser in Europa, Asien und in den USA.

Die Zeit seiner Intendanz in Bregenz von 2004 bis 2014 war jedoch nicht nur von Wiederentdeckungen und spektakulären Seebühneninszenierungen geprägt, wie jene „Tosca“, für die er sich Philipp Himmelmann und Johannes Leiacker holte und die im Bond-Film „Ein Quantum Trost“ als Kulisse diente, sondern auch von Uraufführungen. Dazu zählte auch „Playing Away“ von Benedict Mason, eine Oper über das Fußballspiel, bei der Pountney selbst zum Regisseur einer Produktion auf der Werkstattbühne wurde.

Ein Oktopus
Dahin kehrt der Künstler, der noch während seiner letzten Intendantenjahre in Bregenz Leiter der Welsh National Opera wurde, nun für eine Inszenierung und als Librettist zurück. Seiner Nachfolgerin in Österreich, Intendantin Elisabeth Sobotka, ist es gelungen, ihn für ihr Opern­atelier zu interessieren. Das ist jenes Festspielunternehmen, in dem neue Werke überhaupt erst geschaffen werden. Zum Konzept dieses Opernateliers zählt es, das Publikum am Entstehungsprozess teilhaben zu lassen, ihm Einblicke in die Arbeit zu gewähren. Es weiß nun, dass Èna Brennan die besten Musikerinnen und Musiker des Sympho­nieorchesters Vorarlberg für ihre Komposition braucht, dass sie aber auch Elektronik verwendet.

Die Opernatelier-Kiebitze wissen zudem, dass eine der zentralen Figuren des Werks mit dem Titel „Hold Your Breath“ ein Oktopus ist. Das Tier mit seiner faszinierenden Überlebensstrategie hat es nicht nur Sir David Pountney angetan, sondern auch Hugo Canoilas. Der portugiesische Künstler griff dafür in jene Farbtöpfe, die man mit einer Unterwasserfauna und -flora verbindet und präsentierte erst jüngst einen Oktopusarm in bühnenfüllendem Ausmaß. Nicht acht, sondern sieben solcher Arme soll es geben und das Thema selbst umfasst die Klimaproblematik ebenso wie Macht und Autorität. Dass Rebellion ein gutes Mittel ist, um sich Mechanismen zu widersetzen, steht fest. Dass der Tanz in verschiedenen Epochen auch ein Zeichen der Rebellion war, darauf sollte sich das Uraufführungspublikum in Bregenz einstellen, das nicht in passiver Beobachterstellung zu verharren braucht.

Dunkler Wald und tiefer See
Auch draußen, auf der Seetribüne, werden sich die pro Abend jeweils über 6000 Zuschauerinnen und Zuschauer heuer etwas anders fühlen als sonst. So nah waren sie dem Geschehen noch nie. Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl rückt für die Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber Teile der Seebühne bis an die ersten Sitzreihen heran, nützt für seine Szenerie aber nicht nur die enorme Breite der Anlage, sondern auch die Tiefe des Bodensees. Das darf man wörtlich nehmen, denn für den dunklen Wald, in dem der Librettist Friedrich Kind die Wolfsschlucht verortet, also jene Stelle, an der die treffsicheren Freikugeln gegossen werden, findet Stölzl eine spektakuläre Entsprechung.

Er hat weder Berührungsängste vor dem Märchenhaften noch vor der Gruselgeschichte, aufwerten will er aber die passiven Frauenfiguren in dieser Oper. Er ließ auch das Libretto überarbeiten und führte ein paar Kürzungen bei den Musiknummern durch. Die Notwendigkeit dazu ergab sich erstens aufgrund der Tatsache, dass eine Opernproduktion auf dem See nicht mehr als zwei Stunden dauern sollte und zweitens, weil im „Freischütz“ auch viel gesprochen wird.

Die Entscheidung von Intendantin Elisabeth Sobotka, das 1821 uraufgeführte Werk „Der Freischütz“ erstmals auf dem See inszenieren zu lassen, erweist sich bereits als sehr gute. Das Publikumsinteresse ist groß. Heuer wird die Produktion 28 Mal gespielt, im nächsten Jahr steht sie erneut auf dem Programm. Sobotka hat auf dem See somit „Turandot“, „Carmen“, „Rigoletto“, „Madama Butterfly“ und nun eine deutsche Oper verantwortet. Auch wenn Max einen Pakt mit dem Teufel schließt, um ein Probeschießen zu gewinnen und Agathe heiraten zu dürfen, endet „Der Freischütz“ bekanntlich tröstlich. Christa Dietrich

Bregenzer Festspiele 2024

Die Bregenzer Festspiele werden heuer offiziell am 17. Juli eröffnet und dauern bis 18. August. Schon zuvor finden Aufführungen wie „Der zerbrochne Krug“ statt. www.bregenzerfestspiele.com

Fotos: Anja Kohler, Philipp Steurer, Eva Cerv