Die Orchesterkonzerte enthalten eine Uraufführung sowie spannende Gegenüberstellungen und auf dem See wird eine berühmte Opernfigur fokussiert.
Omer Meir Wellber, mittlerweile Musikdirektor der Volksoper Wien, an der Lotte de Beer im Herbst 2022 die Intendanz übernommen hat, dirigiert das erste Orchesterkonzert. Neben Werken von Richard Strauss (darunter die in puncto Egomanie vieldiskutierte Tondichtung „Ein Heldenleben“) steht die Uraufführung von „In Motion“ des israelischen Komponisten Ayal Adler (geb. 1968) auf dem Programm. Eine spannende Kombination. Adler ist Professor an der Jerusalem Academy of Music, er arbeitete mit namhaften Orchestern und Dirigenten, darunter mit Daniel Barenboim, für dessen West-Eastern Divan Orchestra er das Werk „Resonating Sounds“ schuf.
Dirk Kaftan leitet die Aufführung der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss mit der Sopranistin Marlis Petersen. Mit der 1. Symphonie von Florence Price enthält auch das zweite Konzert der Wiener Symphoniker eine Besonderheit, gilt die Komponistin (1887-1953) doch als erste Afroamerikanerin, die sich in der Musikwelt durchsetzen konnte. Ihre 1. Symphonie wurde 1933 vom Chicago Symphony Orchestra uraufgeführt. Auch die Bregenzer Festspiele zitieren noch aus ihrem Brief an den Dirigenten Sergei Kussewizki, in dem sie die Schwierigkeiten, gegen die sie anzukämpfen hatte, verdeutlichte: „Ich habe zwei Handicaps, ich bin eine Frau und ich habe auch schwarzes Blut in meinen Adern.“ Aus der Biografie von Charles Ives (1874-1954) lässt sich ebenfalls einiges über Publikumsverhalten und Mechanismen in der Klassikszene ableiten, seine kompromisslos entstandenen Werke blieben lange Zeit weitgehend unbeachtet. Das gewählte Stück, nämlich „Central Park in The Dark“ repräsentiert sein Schaffen.
Wiederentdeckung
Es wird heuer zu beobachten sein, wie oft Marie Jacquot (geb. 1990) von boulevardesk orientierten Zeitgenossen wohl mit ihrer Karriere als Tennisspielerin in Verbindung gebracht wird. Vielmehr erwähnenswert ist, dass die Französin mit Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper zusammenarbeitete, bevor sie die erste Gastdirigentin der Wiener Symphoniker wurde. Erst vor wenigen Monaten überzeugte sie mit ihrem Dirigat von „Until the Lions“ von Thierry Pécou an der Oper in Straßburg. Sie war Kapellmeisterin an der Oper in Düsseldorf, dirigierte unter anderem an der Deutschen Oper Berlin, an der Oper in Stuttgart und leitete etwa so namhafte Klangkörper wie das Rundfunksinfonieorchester in München, das Gewandhausorchester Leipzig und die Staatskapelle Dresden. Neben Werken von Ravel und Sibelius dirigiert sie in Bregenz die Aufführung des Violinkonzertes Nr. 3 der polnischen Komponistin Grazyna Bacewicz (1909-1969), deren Wiederentdeckung als bedeutende Künstlerin des 20. Jahrhundert das Label CPO zuletzt vorangetrieben hat, an der sich somit auch die Festspiele beteiligen.
Sie bescheren dem Publikum zudem eine Wiederbegegnung mit dem Geiger Benjamin Schmid, der bereits mit dem Symphonieorchester Vorarlberg auftrat. Das SOV hat sich mit dem längst international gefeierten Cellisten Kian Soltani zusammengetan und bietet mit dem zweiten Konzert für Violoncello ein zentrales Werk im Schaffen von Dmitri Schostakowitsch, das mit dem anspruchsvoll unterhaltsamen „Zauberlehrling“ von Paul Dukas und der 8. Symphonie von Antonin Dvorák verbunden wird.
Bereits ausgezeichnet
Apropos Wiener Symphoniker: Das Orchester hat, sagen wir es salopp, bei seinen Einsätzen für die Seebühnenproduktionen über die Jahrzehnte einiges mitgemacht. Seit einigen Jahren ermöglicht es die technische Entwicklung, dass die Musikerinnen und Musiker nicht mehr unter der Bühne auf dem See spielen, sondern im Festspielhaus, von dem der Sound auf den See übertragen wird. Aufgrund von Pionierleistungen im Bereich der Akustik geschieht das in derart hoher Qualität, dass die Festspiele ein Werk wie Puccinis „Madame Butterfly“ ins Programm nehmen konnten. Dass Regisseur Andreas Homoki mit dem Schicksal von Cio-Cio-San keine aktualisierte Sextourismusgeschichte und somit ein globales Thema forciert, sondern einer erstarrten japanischen Kultur zum Ende des Shogunats ein Amerika der 1950er-Jahre gegenüberstellt, beinhaltet zwar einen Zeitsprung, ist von der Handlung her aber absolut plausibel. Ein filigran bemaltes, von Wellen und Wind gewölbtes japanisches Zeichenblatt bildet das von Michael Levine konzipierte zentrale Podium, das nur durch Videotechnik Veränderung erfährt. Dass dieses den Handlungsverlauf unterstützende Licht- und Farbenspiel neben der eindrucksvollen Naturkulisse am See bestehen kann, ist eine große Leistung. Sie wurde von der Jury der International Opera Awards gewürdigt, die Levine zum Ausstatter des Jahres 2022 ernannte.
Andreas Homoki muss man zugutehalten, dass er in „Madame Butterfly“ mit Cio-Cio-San, die aufgrund ihrer Sozialisierung in Japan und der gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA keinen anderen Ausweg als den Tod sieht, doch noch den emanzipatorischen Aspekt berücksichtigt. In seiner Inszenierung dieses Kammerspiels, das die Musik groß macht, liegt der Fokus konsequent auf der Hauptfigur. (Christa Dietrich)