Die 79. Bregenzer Festspiele beginnen mit der Oper „Œdipe“ von George Enescu nach einem Stoff aus der antiken Mythologie und „Der Freischütz“ ist sowieso extrem.

Mehr Drama geht kaum noch und das ist das, was Lilli Paasikivi heuer haben wollte. Die neue Intendantin der Bregenzer Festspiele eröffnet ihre erste Saison mit der Oper Œdipe. Sophokles verarbeitete den Stoff aus der antiken Mythologie vor knapp 2500 Jahren zu Theaterstücken, die zum Kanon der Weltliteratur zählen. Die Oper von George Enescu mit dem Libretto von Edmond Fleg, der sich bei Sophokles bediente, wurde im Jahr 1936 in Paris uraufgeführt. In den 1970er-Jahren folgte die erste Aufführung im deutschsprachigen Raum. Zu den bekanntesten Œdipe-Produktionen zählen jene, die Götz Friedrich in den 1990er-Jahren an der Deutschen Oper in Berlin realisiert hat, eine Inszenierung von Hans Neuenfels vor zwölf Jahren in Frankfurt sowie die Umsetzung von Achim Freyer im Sommer 2019 bei den Salzburger Festspielen.

Damals hatte Ingo Metzmacher dirigiert und der Regisseur Andreas Kriegenburg war als Besucher einer der Aufführungen von der „kraftvollen Musik“ derart beeindruckt, dass er in Erinnerung an das Erlebte zusagen konnte, als ihn die Anfrage von Lilli Paasikivi erreichte. Die finnische Mezzosopranistin, Kulturmanagerin und ehemalige Intendantin der Finnischen Nationaloper wurde im Herbst 2022 zur Nachfolgerin von Elisabeth Sobotka ernannt, die die Bregenzer Festspiele von 2015 bis 2024 leitete.

Präsentation des Programms für 2025 v. l. n. r.: Babette Karner (Pressesprecherin), Lilli Paasikivi (Intendantin), Hans-Peter Metzler (Präsident), Florian Amort (Dramaturg), Michael Diem (Kaufmännischer Direktor).

Männerkult und Teufelspakt
Aufgrund der jeweils zweijährigen Laufzeit einer Musiktheaterproduktion auf der Seebühne steht dort heuer wieder die Oper Der Freischütz von Carl Maria von Weber in der Inszenierung und Ausstattung von Philipp Stölzl auf dem Programm. Elisabeth Sobotka engagierte den deutschen Regisseur und Bühnenbildner bereits für Verdis Rigoletto und vertraute ihm für ihre letzte Saison in Bregenz den 1821 uraufgeführten Freischütz an, für den Stölzl neue Sprechpassagen verfasste und die Handlung damit wieder näher am Gespensterbuch von Apel und Laun ansiedelte, aus dem der Librettist Friedrich Kind für die Oper schöpfte. Dabei gelang es ihm auch, den Jäger- und Männerkult in diesem Stück etwas abzuschwächen und die Frauen mit einigem Widerspruchsgeist zu zeichnen. Dass sich die Geschichte um den Beweis der Treffsicherheit und einen Pakt mit dem Teufel in einer unwirtlichen Gegend abspielt, machte Stölzl mit einer winterlichen Landschaft auf dem See deutlich, in der sich gespenstische Wandlungen vollziehen. Man müsse sich auf die „19. Jahrhundert-Moritat“ in diesem Werk ebenso einlassen wie auf die Schauergeschichten, erklärte er. Inklusive der Young People’s Night und der öffentlichen Generalprobe sind nahezu dreißig Aufführungen geplant.

Dass auf der Seebühne nur bekanntere Opern realisierbar sind, steht außer Frage. Für Intendantin Lilli Paasikivi ist das Repertoire auch in der 79. Saison, nach Opern von Mozart, Verdi, Puccini, Giordano, Bizet, Offenbach, Wagner, Bernstein etc. noch nicht ganz ausgeschöpft. Sie wählte für das kommende Jahr mit Verdis La Traviata ein Werk, das noch nie auf der Seebühne inszeniert wurde und hält auch noch weitere Erstaufführungen für möglich.

Ausstatter Harald B. Thor und Regisseur Andreas Kriegenburg verwenden für „Œdipe“ Holz und Asche, lassen aber auch Elemente wie Feuer und Wasser zur Wirkung kommen.

Kontrastreich
Draußen ein Werk aus der Hitliste, im Festspielhaus eine Entdeckung oder zumindest eine Oper, die nicht überall auf den Spielplänen steht – das ist schon seit Jahrzehnten das zentrale Konzept der Bregenzer Festspiele und auf diesen Kontrast will Lilli Paasikivi auch weiterhin setzen. In seiner Inszenierung der Oper Œdipe will Andreas Kriegenburg den Fokus auf einen Menschen legen, den weniger das Schicksal einholt als der Schuldballast, den er von seinem Vater übernommen hat. Bekanntermaßen trifft die grausame Weissagung, dass Ödipus seinen eigenen Vater erschlägt und dann seine leibliche Mutter heiratet, zu. Er weiß zwar nicht, um welche Personen es sich beim Totschlag und bei der Eheschließung handelt, aber die Schuld bleibt. Kriegenburg will die Folgen von bestimmten Erziehungsmustern bzw. Menschen zeigen, die nicht fähig sind, Konflikte über den guten Kompromiss oder das Gespräch zu lösen und die Traumata an die Kinder weiter geben. Wer die antiken Stoffe einigermaßen kennt, der weiß, dass sich Laios, der Vater von Ödipus, einst schuldig gemacht hat, die Konsequenzen aber nicht tragen wollte.

Laios kommt aus Vorarlberg
Die Rolle dieses Laios übernimmt der Vorarlberger Tenor Michael Heim, der mittlerweile auch mit Wagner-Partien international reüssieren konnte, sich aber immer wieder der Musik des 20. Jahrhunderts und auch zeitgenössischen Kompositionen widmet. Unter Kent Nagano war er gerade für die Uraufführung der Oper Die Illusionen des William Mallory von Rodolphe Bruneau-Boulmier, einer Produktion der Hamburger Staatsoper, engagiert. Die Rolle des Laios ist klein, der König bekommt schließlich bald eines über den Schädel gezogen, aber Heim hat sich selbstverständlich mit dem gesamten Werk beschäftigt. Es sei in seiner Zeit sicher ein Solitär, meint er. „Ich meine es ganz gewiss nicht abwertend, wenn ich an sehr gute Filmmusik denke, denn Enescu hat eine eigene Musiksprache entwickelt, aber das Werk ist modern, sehr episch, für das Publikum sehr gut fassbar.“

Er hat sogar festgestellt, dass ihn die Musik so richtig einsaugt: „Du bist da plötzlich in einer ganz anderen Welt.“

Text von Christa Dietrich

Fotos: Bregenzer Festspiele/Anja Koehler