Die Opern „Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini auf der Seebühne und „Siberia“ von Umberto Giordano im Festspielhaus verbindet einiges.

Mit Umberto Giordano verbinden Besucher der Bregenzer Festspiele in erster Linie eine Opernproduktion auf dem See, deren Bühnenbild zu den einzigartigen Skulpturen zählt, die hier geschaffen wurden. Nachdem „André Chénier“ in Zeiten der Französischen Revolution spielt, vom Schicksal des gleichnamigen Dichters handelt, der von 1762 bis 1794 lebte und nach dem in Paris mittlerweile eine Straße benannt ist, entschieden sich Regisseur Keith Warner und ­Bühnenbildner David Fielding für die dreidimensionale Umsetzung des Marat-Porträts von Jacques-Louis David, das zu den Ikonen der französischen Kunst des späten 18. Jahrhunderts zählt. Der Revolutionär und Schriftsteller Marat wurde im Bad von Charlotte Corday erstochen. Mit ihrem Brief in der Hand, ergab seine Büste eine unvergessliches Auftrittspodium für eine stringente Inszenierung in der Ära des Intendanten David Pountney. Alfred Wopmann hatte Jahre zuvor Giordanos Oper „Fedora“ auf den Spielplan für das Festspielhaus gesetzt und sorgte durch das Engagement von Jonathan Miller und Tobias Hoheisel, die passende Bilder im Stil der Pointilisten schufen, für bleibende Eindrücke.

Konsequent
Bedenkt man, dass Intendantin Elisabeth ­Sobotka die Wiederentdeckung von Franco Faccio und dessen Oper „Amleto“ (nach Shakespeares Drama „Hamlet“) entscheidend vorantrieb, so ist ihre Wahl für diesen Festspielsommer von Konsequenz gezeichnet. Auf dem See wird mit „Madame Butterfly“ eines der bekanntesten Werke von Giacomo Puccini gespielt, im Haus die weniger bekannte Oper von Giordano, eines Komponisten seiner Zeit.

„Siberia“ ist musikalischer Verismo, paraphrasiert entspricht der Inhalt einer typischen Erbauungslektüre (Prostituierte wandelt sich zur Liebenden und beschützt schließlich den Geliebten bei Verlust des eigenen Lebens), zu betrachten sind aber auch die literarischen Quellen, die bei Dostojewski und Tolstoi zu finden sind. Um Musik komponieren zu können, die davon handelt, dass ein junger Leutnant nach einem Eifersuchtsmord nach Sibirien verbannt wird, wo er das Lagerleben durchleidet, hatte sich Giordano um Kontakte zu einem russischen Maler sowie zu einem Korrespondenten bemüht und sich intensiv mit russischer Musik auseinandergesetzt.

Giacomo Puccini hatte übrigens die Vertonung des Stoffs abgelehnt, für den Luigi Illica das Libretto schrieb. Fast wie eine Ironie der Geschichte wirkt es, dass es im Dezember 1903 zur ­Uraufführung von „Siberia“ an der Mailänder Scala kam, weil eine geplante Aufführung der „Butterfly“ abgesagt werden musste.

Die weiblichen Hauptfiguren der beiden Werke sind durchaus miteinander vergleichbar. Cio-Cio-San verdient ihren Lebensunterhalt als Geisha, weil ihre in der Tradition verhaftete Familie aufgrund des sich langsam vollziehenden kulturellen Umbruchs in Japan verarmt ist. Durch die Verbindung mit dem amerikanischen Leutnant Pinkerton erhofft sie sich den Ausbruch aus den starren, von Unterdrückung und Gehorsam gekennzeichneten Mechanismen. Während sie den jungen Mann aufrichtig liebt, sieht er im eheähnlichen Kontrakt, der rasch geschlossen wird, nur eine Verbindung auf Zeit. Als sie dies erkennt und nachdem ihr klar ist, dass eine Rückkehr in die starre japanische Gesellschaft ein Lebensentwurf wäre, den sie ablehnt, tötet sie sich.

Stephana, die Heldin in „Siberia“, gerät an einen Kuppler, der sie für viel Geld an einen Fürsten verkauft. An dessen Hof verliebt sich die junge Frau in den Leutnant Vassili, der den Fürsten in einer Auseinandersetzung ersticht und nach Sibirien verbannt wird. Stephana folgt ihm, um das Schicksal mit ihm zu teilen und sich gegen Verleumdungen zu wehren. Die gemeinsame Flucht wird jedoch vom einstigen Kuppler vereitelt, der Wachen auf sie hetzt. Schüsse fallen und treffen die junge Frau tödlich.

Frauenfiguren
Valentin Uryupin, der in Bregenz bereits die Produktion „Eugen Onegin“ leitete, wird das Werk dirigieren, Vasily Barkhatov inszeniert. Was die Frauenfiguren – jeweils Opfer einer von Männern geschaffenen Gesellschaftsstruktur – betrifft, so repräsentieren diese nahezu das Opernschaffen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

„Die Italienerin in Algier“ handelt von einer klugen Frau.

Es trifft sich gut, dass die Bregenzer Festspiele noch vor der offiziellen Eröffnung eine Opernproduktion anbieten, deren Premiere in der noch stark von der Pandemie überschatteten Saison 2021 ausfallen musste: Rossinis „Die Italienerin in Algier“, 1813 uraufgeführt, erzählt von einer Frau, der die meisten der handelnden Männer nicht gewachsen sind. In der Opera buffa, einer Komödie, war dies möglich. Die diesjährige neue Produktion im Rahmen des von Elisabeth Sobotka schon bei ihrem Antritt im Jahr 2015 installierten Opernstudios ist „Armida“ von Haydn. Hier waltet eine Zauberin über die Schicksale. Zumindest eine Zeit lang.

Bregenzer Festspiele 2022
Die Bregenzer Festspiele werden heuer offiziell am 20. Juli eröffnet und dauern bis 21. August. Schon zuvor, am 8. Juli, findet die Premiere von „Die Italienerin in Algier“ statt.
www.bregenzerfestspiele.com

Text. Christa Dietrich

Bilder. Philipp Steurer