Dass das Schauspielprogramm den terminlichen Rahmen der Bregenzer Festspiele sprengt, passt auch gut zum Inhalt der Theaterstücke.

Was das Sprechtheater betrifft, beginnen die Bregenzer Festspiele seit einigen Jahren bereits zu Ostern. Nach der Erstaufführung der Neuinszenierung von Shakespeares „Richard II.“ im Jahr 2021 lieferte das Wiener Burgtheater Sartres „Geschlossene Gesellschaft“, „Die gefesselte Fantasie“ von Ferdinand Raimund und schließlich „Der Menschenfeind“ von Molière nach Vorarlberg. Auch eine weitere Produktion dokumentiert, dass in Bregenz schon Festspielzeit ist, bevor Vertreter der Bundespolitik aus Wien zum offiziellen Eröffnungsakt anreisen. Am 18. und 19. Juni ist das Deutsche Theater Berlin mit „Der zerbrochne Krug“ von Heinrich von Kleist zu Gast.

Schön, dass die Produktion nach der krankheitsbedingten Absage im Vorjahr heuer wieder ins Programm genommen wurde. Das Kernthema im 1808 uraufgeführten Drama, nämlich die Machtausübung des Patriarchats, ist von derartiger Relevanz, dass es egal ist, ob eine konkrete inhaltliche Verknüpfung des Theaterstoffs mit den Musiktheaterproduktionen der Festspiele möglich ist, wie das im letzten Jahr mit Verdis „Ernani“ der Fall war.

Zwei Klassiker
Abgesehen davon, dass das Patriarchat-Sujet mit einer beabsichtigten Zwangsverheiratung auch in Rossinis „Tancredi“, der diesjährigen Opernproduktion im Festspielhaus, auftaucht, entspricht die Auseinandersetzung mit „Der zerbrochne Krug“ immer auch einer Beschäftigung mit deutscher Theatergeschichte. Goethe konnte mit der modernen Sprache des in Weimar uraufgeführten Stücks offenbar nichts anfangen. Der Erfolg blieb erst einmal aus. Der Inhalt ist jedenfalls brisant, denn es versteht sich, dass Kleist nicht nur die männliche Hybris, sondern auch eine korrumpierte Justiz im Fokus hatte, wenn er einen schuldig gewordenen Dorfrichter vorführt, der glaubt, es sei sein Recht, niemals zum eigenen Fehlverhalten stehen zu müssen. Die deutsche Regisseurin Anne Lenk hat nicht nur inszeniert, sie verantwortet auch eine eigene Fassung des Werks, die Rolle des Dorfrichters wird von Ulrich Matthes gespielt.

Die Wahl, mit welchem Stück sich Martin Kušej auch in Bregenz als Direktor des Wiener Burgtheaters verabschiedete, fiel ebenfalls auf einen Klassiker. Molières „Der Menschenfeind“ nahm Kušej als Regisseur der 1666 in Paris uraufgeführten Komödie zum Anlass, in Anlehnung an die Hauptfigur Alceste seinem Publikum bzw. den Heuchlern und Intriganten den Spiegel vorzuhalten. Dass er dabei dick aufträgt, wurde in den sich auf der Bühne spiegelnden Zuschauerrängen ebenso goutiert wie die Tatsache, dass er dem Text einige Passagen hinzufügen ließ. In diesen kam der Burgtheaterdirektor, der in der kommenden Spielzeit von Stefan Bachmann abgelöst wird, auch selbst vor. Die Wiener Gesellschaft wurde dabei nicht nur reichlich versnobt dargestellt, jene, die er immerhin ein paar Jahre mit Stücken bediente, hatten sich hier auch darüber zu echauffieren, dass er offenbar „nie da“ ist. Dem Festspielpublikum dürfte das wurst sein. Man ergötzte sich an einem Alceste, der sich am Ende vor Selbstmitleid in Gülle badete und bekundete mit dem heftigen Applaus wohl auch den Wunsch, dass das Sprechtheater im Programm bleibt.

Eine Uraufführung
Die Zeichen dafür stehen jedenfalls gut. In Zusammenarbeit mit der Österreichischen Theaterallianz, einer Vereinigung von jungen Bühnen, der auch das Bregenzer Theater Kosmos angehört, realisieren die Festspiele heuer die Uraufführung eines Werks des Salzburger Regisseurs und Autors Josef Maria Krasanovsky. Der Text mit dem Titel „Mondmilch trinken immer und jetzt / dein Solarplexus ist mir egal“ ging als Siegerstück aus einem Wettbewerb hervor, bei dem die Einreichungen dem Thema „Deal or no deal“ gerecht werden sollten. Bei diesem bezogen sich die Auslober auf den Inhalt der Oper „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Im Werk, das heuer auf der Bregenzer Seebühne umgesetzt wird, schließt ein junger Mann bekanntermaßen einen Pakt mit dem Teufel. Er braucht eine treffsichere Munition, um bei einem Probeschießen so abschneiden zu können, dass er heiraten darf. Kugeln, eine Braut und ein Jäger zählen auch zu den Figuren im Stück von Krasanovsky, das nach den Aufführungen am 1., 3. und 4. August in Bregenz vom Klagenfurter Ensemble übernommen wird und das voraussichtlich auch an weiteren Podien der Theaterallianz gespielt wird. Das sind etwa auch das Theater Phoenix in Linz, das Theater am Lend in Graz und das Schauspielhaus Salzburg.

Getrunken wird auch
Mit den Kugeln verhält es sich bei diesem Deal, bei diesem Theaterstück, das ins Absurde kippt, in dem in der Tat getrunken wird und in dem auch das Theaterspielen selbst verhandelt wird, allerdings etwas anders. „Es ist ja so, dass ich mich schon manchmal frag: wie dünn ist es eigentlich, unser Zivilisationsmäntelchen? Und ich sag mal bewusst Mäntelchen. Mehr kann das ja nicht sein, wenn wir mal ehrlich miteinander reden, wenn wir mal ehrlich eine Bestandsaufnahme machen, die nicht alles durch den Ich-bin-ein-Opfer-Wolf dreht“, sagt die Braut und katapultiert uns damit in die Gegenwart. Und dann tauchen ja noch Kugelmenschen auf. Nicht jene aus Platons Dialogwerk „Das Gastmahl“, aber sie ähneln diesen Wesen, die geteilt wurden und seither die andere Hälfte, die männliche, die weibliche oder eben die androgyne suchen. Christa Dietrich

Fotos: Christian Ariel Heredia, Matthias Horn, Arno Declair