Von starken Typen und noch stärkeren Frauen
Keine Frage, „Carmen“, die Opernproduktion auf dem See, steht auch heuer wieder im Mittelpunkt der Bregenzer Festspiele. Wer nach starken Stücken unter den vielen kleineren im Rahmenprogramm sucht, wird rasch fündig, erkennt deren vertiefende Funktion und erinnert sich zudem an frühere Festspielsaisonen.
„Tango ist in Europa eine Möglichkeit, einen geilen Abend zu verbringen, man tanzt, um eine Frau zu verführen, in Argentinien konzentriert man sich mehr auf den Tanz selbst“, hielt Philippe Arlaud einmal fest. Der französische Regisseur und Bühnenbildner ist in Vorarlberg bestens bekannt. Bevor er dem mittlerweile wieder abgesetzten Feldkirch-Festival als dessen Intendant besondere Farbigkeit verpasste, führte er bei den Bregenzer Festspielen Regie. Zu seinen Arbeiten zählte auch die szenische Österreich-Premiere der Oper „Maria de Buenos Aires“ von Astor Piazzola (1921–1992) und Horacio Ferrer (1933–2014), der damals, im Sommer 2000, höchstpersönlich nach Bregenz kam, um von seinem Freund, dem legendären Musiker und Komponisten und vor allem vom Tango, der das Geheimnis des Lebens erfahrbar machen soll, erzählte. Auf dem See prangte damals ein riesiges Skelett, das Richard Jones und Antony McDonald für Verdis „Ein Maskenball“ entwarfen und mit dem der damalige Intendant Alfred Wopmann den Festspielen eine internationale Auszeichnung bescherte.
Keine Tango-Machos. Abgesehen vom Tod als präsentes Thema, verbindet die beiden Werke wenig. Nachdem heuer die Wiederaufnahme von Bizets „Carmen“ auf dem Programm steht, sind die Überschneidungsflächen etwas größer. In der Operita, so die Bezeichnung von Astor Piazzolla für das Werk, das im Jahr 1968 uraufgeführt wurde, verdichtet sich das Thema in einer starken Frauenfigur, was in der von den Festspielen nun angekündigten Version des Stücks auch deutlich zu Tage tritt. Olivier Tambosi hat ein Konzept für ein kleines Ensemble erstellt. Die Schweizer Sopranistin Christiane Boesiger übernimmt den Hauptgesangspart und die Rezitation und widmet den Abend zudem der Schriftstellerin und Journalistin Alfonsina Storni (1892–1938), die, aus der Schweiz stammend, in Argentinien zur Legende wurde. Sie hatte sich nicht gescheut anzuecken, trat für Selbstbestimmung und Frauenrechte ein und hinterließ ein Werk, das in Europa erst nach und nach entdeckt und entsprechend gewürdigt wird. Es sind keine Tango-Machos, denen man somit begegnen wird und selbst wenn Piazzolla und Ferrer im Grunde keine Frau porträtiert haben, sondern die Musik selbst, liegen die Bezüge zur Opernfigur Carmen offen. Somit wird plausibel, warum Elisabeth Sobotka, die als Intendantin das Programm der Bregenzer Festspiele nun schon in der vierten Saison verantwortet, „Maria de Buenos Aires“ auf die Werkstattbühne holt.
Inspirierende Freiheit. „Carmen ist auch ein wenig wie ein weiblicher Don Giovanni“, erklärte Lena Belkina, die unter anderem in Rossini-Rollen gefeierte Mezzosopranistin aus Taschkent, die im Vorjahr auf dem See in der Rolle debütierte und heuer wieder in Bregenz singt: „Ich möchte Carmen keineswegs als vulgäre Frau spielen. Das ist sie nicht. Sie ist extrem stark, aber niemand soll sie besitzen. Wenn sie sich durch die Liebe eines Mannes unter Druck gesetzt fühlt, dann flieht sie davor.“
Ihre Freiheit zu spüren, habe sie besonders inspiriert, verriet Gaëlle Arquez gar. Die französische Mezzosopranistin, die einen Teil ihrer Kindheit in Afrika verbrachte, sich als multikulturellen Menschen bezeichnet und Pop-Songs schmetterte, bevor sie eine Lehrerin auf ihre besondere Begabung aufmerksam machte, agiert in diesem Sommer ebenfalls wieder auf der Seebühne. Die Rolle sei für sie perfekt, sagt sie: „Carmen steht für mich vor allem für Freiheit. Rund um den Globus gelten noch nicht für alle Frauen dieselben Rechte. Carmen ist eine starke Frau, die nicht davor zurückschreckt, Nein zu sagen.“ So gesehen entsprach ihr auch die Regiearbeit von Kasper Holten auf dem See. Dieser sei nicht nur offen für neue Ideen, sondern gäbe den Künstlerinnen und Künstlern jeweils viel Raum für eigene Vorstellungen. Christa Dietrich
Bild oben. Sabine Burger
Bilder unten. VN/Steurer