In ihrem neuen performativen Musiktheater ‚Unmögliche Verbindung‘ blicken der tschechische Komponist und Dirigent Ondrej Adámek und der deutsche Regisseur und Autor Thomas Fiedler auf eine Menschheit, die danach sucht, mit sich selbst in Kontakt zu bleiben.
Es waren laute Rufe, die das Interesse von Ondřej Adámek weckten und ihn nicht mehr loslassen sollten: Am Rande der Parkanlage Planten un Blomen in Hamburg standen Frauen vor einem gemauerten Sichtschutz und versuchten – trotz Verbot –, mit ihren in der Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis einsitzenden Männern zu kommunizieren. Viel Banales und Alltägliches kam zur Sprache, aber auch tief empfundene Emotionen. „Frauen schreien Intimitäten gegen die Wand“ wurde schnell zum geheimen Motto des neuen performativen Musiktheaters ‚Unmögliche Verbindung‘, einem Auftragswerk der Bregenzer Festspiele und des Ensemble Modern, das im Sommer 2024 auf der Bregenzer Werkstattbühne seine Uraufführung feiert und anschließend in einer Fassung für den Konzertsaal in der Kölner Philharmonie zu erleben ist.
In dem Werk erprobt Ondřej Adámek eine für ihn neue Art des Komponierens: „In meinen früheren Musiktheaterwerken habe ich, anknüpfend an die französische Bedeutung des théâtre musical, versucht, nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch zu denken und diese Überlegungen in der Partitur niederzuschreiben. […]. Für die szenische Realisierung habe ich dann oftmals mit dem Choreographen Eric Oberdorff oder mit meinem Bruder, dem Regisseur Jiří Adámek Austerlitz, zusammengearbeitet. Was ich jetzt mit Thomas Fiedler mache, ist etwas völlig anderes: Die Ebene des Textes und die theatrale Dimension sind so wichtig wie die musikalische. Wir denken von Anfang an alles zusammen.“
Auch für Thomas Fiedler ist ‚Unmögliche Verbindung‘ etwas Neues, erhielt er doch zuerst nur mehrere Videodateien. Dabei handelt es sich um Mitschnitte zweier Tryouts, die in Frankfurt stattfanden. „Eigentlich hatte ich (Anm. Ondřej Adámek) eine andere Vorstellung von dem Projekt. Es sollte wieder eine Art inszeniertes Konzert werden. Doch das Ensemble Modern wollte eine neue Herangehensweise. Die Musiker:innen haben starke Persönlichkeiten und haben mir in einem Tryout gezeigt, was sie alles können. Wir haben für mehrere Tage verschiedene Dinge ausprobiert, szenisch wie musikalisch. Das zweite Tryout im Dezember 2022 war dann schon mit ersten Skizzen. Einen Mitschnitt einzelner Szenen hat Thomas bekommen, der im Frühjahr 2023 dazustieß.“
Thomas Fiedler hatte nun die Aufgabe auf dieser Grundlage aufbauend dem zukünftigen Werk eine Struktur zu geben. „Ich habe mich erst einmal mit dem Material vertraut gemacht. Ondřej schreibt eine sehr körperliche Musik, die viel mit Atem, aber auch mit Sprache spielt und dadurch bereits szenisch und gestisch gedacht ist. Ende Februar 2023 haben wir uns dann in Rom kennengelernt. Wir sprachen über das Material, über gemeinsame Interessensgebiete und haben uns so einander angenähert. Ondřej beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit Kommunikation. Wie entsteht überhaupt eine Verbindung zwischen Menschen? Wie kann man mit sich selbst, mit dem Gegenüber oder mit einem Verstorbenen in Kontakt treten? Das sind Fragen, die auch mich umtreiben. Am Ende unseres Treffens hatten wir also einen ganzen Themenkomplex.“
Die Suche nach der Form
An diesen Schnittstellen, an denen Kommunikation scheitert, erschwert oder verhindert wird, möchte ‚Unmögliche Verbindung‘ ansetzen. Doch welche Form soll das Musiktheater haben? „Uns war schnell klar, dass wir diese Fülle an Themen nicht anhand einer durchgehenden Geschichte mit konkreten Figuren erzählen können und wollen. Wir arbeiten stattdessen mit Kapitelüberschriften und beschreiben unterschiedliche Aspekte von Kommunikation. Diese Struktur hat wiederum Ondřej geholfen, die Partitur zu schreiben. Das war ein sehr spannender und ungewohnter Prozess für mich.“
Das Werk, dem Ende Mai bei einem dritten und letzten Tryout in Frankfurt der letzte Schliff gegeben wurde, bevor es in Frankfurt und Bregenz einstudiert wird, spricht jede(n) Zuschauer(in) persönlich an. Zu Beginn des Musiktheaters sieht man ein Individuum, das versucht, mit der Seele eines Verstorbenen in Kontakt zu treten. Bald kommt ein zweites Individuum hinzu, später versuchen Gruppen und ganze Nationen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die Frage nach dem Miteinander
Der Titel ‚Unmögliche Verbindung‘ deutet schon an, dass das Duo mit Sorge auf unsere Gegenwart blickt. „Unser Musiktheater ist aktuell“, betont Fiedler, „doch wir wollen keine Tagespolitik betreiben. Vielmehr steht die Frage im Raum, wie eine so individualistische und säkulare Gesellschaft wie die unsere mit bestimmten Fragen umgeht wie: Wer bin ich? Wie stelle ich eine Verbindung zu mir selbst, zu meinen Wünschen, zu meinen Träumen her? Wie gehe ich mit existenziellen Erfahrungen wie dem Tod einer nahen Person um? Wie verhalte ich mich in Diskussionen mit verhärteten Fronten? Und wie können die großen Aufgaben der Menschheit in diesem Umfeld gelöst werden? Das sind Fragen, die dort, wo es keine starken religiösen oder traditionellen Strukturen im Weltbild mehr gibt, schwierig zu beantworten sind – als Individuum ebenso wie als Gesellschaft.“
Zu sehen ist das Werk am 27. und 28. Juli 2024 auf der Werkstattbühne.
Foto: Christian Wiehle